Texte

„Das Museum „Haus der Natur“ ist für ihn der ideale Platz, wo er findet, was er sucht.“
(Werner Thuswaldner)

Erich Gruber - Prägung durch Bilder

Die Prägungen, die jemand erfährt, der auf dem Land aufwächst, sind oft literarisch thematisiert worden. Sie erweisen sich aber auch für die bildende Kunst als außerordentlich ergiebig - wie das Beispiel Erich Grubers zeigt. Die Umstände seiner Sozialisation waren nicht extrem, gar nicht zu vergleichen mit den Erfahrungen, die etwa der Schriftsteller Franz Innerhofer durch gemacht hat. Gruber hatte aber wohl schon als Kind ein feines Sensorium für die oft seltsamen Formen, in denen sich das Leben auf dem Land abspielt, vor allem dafür, welche Rolle die Religion für sich da beansprucht und welcher Bilder sie sich bedient. Bis heute beschäftigt ihn das große Versprechen, das die religiöse Erziehung Kindern für ihr Leben gibt, ein Versprechen, das niemals gehalten werden kann.
Die Erstkommunion, die Hochzeit, der Tod, das sind markante Lebensstationen, die alle mit religiösen Ritualen verbrämt werden. Die Frömmigkeit gewinnt ihre Inspiration vielfach aus "Andachtsbildern". Sie präsentieren sich meist in unverhohlenem Kitsch und sind gerade deshalb für Erich Gruber eine Fundgrube.
Erich Gruber, der aus Bischofshofen im Pongau (Österreich) stammt, sollte ursprünglich eine ganz andere Berufslaufbahn einschlagen. Er absolvierte die Höhere technische Lehranstalt, stellte aber fest, dass für ihn das Bedürfnis, sich künstlerisch mitzuteilen, immer drängender wurde. Man könnte auch sagen, dass ihm die künstlerischen Mittel dazu dienen, um mit existentiellen Problemen, die ihn beschäftigen, zu Rande zu kommen. Ab 1995 besuchte er die Hochschule Mozarteum. In der Malerei erreichte er bald ein so hohes handwerkliches Niveau, dass er seine Vorstellungen künstlerisch umsetzen konnte.
In einer ersten Phase waren die Ergebnisse die minutiös realistische Darstellung von Fleischstücken. Erich Gruber wurde zu einem Fleischmaler. Den Betrachter bringt das rohe Fleisch zum Nachdenken über die Herkunft des Fleisches, darüber, dass man es vorher mit einem lebenden Tier zu tun gehabt hat, das einer rigorosen Prozedur unterworfen worden ist. So löste Erich Gruber Prozesse des Nachdenkens aus. Darauf kommt es ihm durchaus an, wenn er auch nicht als ein engagierter Künstler im engeren Sinn gelten will.
Der souveräne Maler von Fleischstücken zu sein, genügte Erich Gruber schon bald nicht mehr. Es begann seine mystische Phase, seine Hinwendung zu speziellen Formen der Frömmigkeit, wie sie heute noch auf dem Land anzutreffen sind. Und das nicht nur bei uns. Es ist dies ein Phänomen, das international anzutreffen ist. Erich Gruber entdeckte, dass etwa der polnische Katholizismus noch viel obskurere Manifestationen des Religiösen hervorbringt. Hier ist eine lebhafte Fantasie am Werk, die Bigotterie, eine Primitivform von Frömmigkeit, treibt die wunderlichsten Blüten.
Die beliebtesten magisch überhöhten Objekte sind das kleine Jesulein und die „Gottesmutter“ Maria. Das arglose Jesuskind und die „liebe Frau“ können von religiöser Inbrunst offenbar am leichtesten erfasst werden.
Hier setzt Erich Gruber an. In der Bauernstube hat die Marienfigur einen ausgezeichneten Platz, sie ist mit gehäkelter Spitze als Braut geschmückt und eingebunden in ein dekoratives Ambiente. Eine seiner Serien heißt "Der Kommunionkinder Glück". Es sind vorsichtig mit Acryl, Tusche und Farbstift überarbeitete Fotos von Mädchen am Tag ihrer Erstkommunion. Auch sie sind hergerichtet wie kleine Bräute. Der Gesichtsausdruck ist dumpf, verstört und ernst. Der Tag scheint für sie kein freudiges Ereignis zu sein, vielmehr mit etwas Bedrohlichem und Beschwerlichem verbunden, mit einer Last, die ihnen fortan aufgebürdet ist.
Grubers zentrales Thema ist also die tief greifende Prägung, die Kinder und Jugendliche durch die Vermittlung kaum verbalisierter religiöser Formen erfahren. Es sind Prägungen, die auf der Ebene des Unbewussten ein Leben lang anhalten. Dort bleiben sie gespeichert, so dass eine lebenslängliche Bindung entsteht und ein lebenslängliches Gefangensein in rigiden Vorstellungen von der Religion gewährleistet bleibt. Diese Vermittlung religiöser Inhalte bedient sich einer bestimmten Bildlichkeit, die sich ihr eigenes „Schönheitsideal“ schafft. Gleichwohl dient sie dazu, junge Menschen in einer kritischen Phase ihres Lebens zu beeinflussen, mehr noch: zu disziplinieren. Nebenbei bemerkt: Auf diese Weise werden für Kinder in einem sehr frühen Stadium auch höchst zweifelhafte Vorbilder für die bildende Kunst gesetzt: Schön hat sie zu sein und anrührend. 
Für Gruber stellt das gesamte Repertoire religiösen Kitsches willkommenes Dispositionsmaterial dar. Er erkennt sehr wohl, wie lächerlich der bildhafte Ausdruck all des religiösen „Propagandamaterials“ ist, zugleich fühlt er sich von der verniedlichenden, eingängigen, süßlichen Art der Darstellung angezogen. Dies nicht zuletzt deshalb, weil er weiß, wie stark die Wirkung auf ein kindliches Gemüt ist. Im Lauf der Jahre ist er mit seinem speziellen Blick auf viele Fundstücke dieser Art gestoßen, und er ist ein Sammler dieser Absonderlichkeiten geworden.
Gruber arbeitet sich an dieser Thematik auf besondere Weise ab. Er tut es nicht in der Art eines Aufklärers, der seinem Publikum vor Augen führen möchte, auf welchen Bluff es einst mit Kinderaugen hereingefallen ist. Gleichwohl schafft er für den Betrachter Raum zur Reflexion. Gruber nimmt den religiösen Kitsch der illustrierten Gebetbüchlein und Traktate scheinbar ernst, eignet sich die Motive an und entwickelt sie in seinem Sinn weiter. Er verfremdet sie auf besondere Weise. Nicht, indem er sie entlarvt. In seiner Malerei aus jüngerer Zeit verschwimmt der Gegenstand immer mehr. In mehreren Arbeitsvorgängen legen sich Schicht auf Schicht über ihn, der Interpretationsspielraum für den Betrachter wird größer und größer. Zugleich steht für die Malerei nicht mehr die Abbildfunktion im Vordergrund, sie kann als Malerei für sich wahrgenommen werden.
Wie um die Erdung ja nicht zu verlieren, widmet sich Erich Gruber konsequent dem Zeichnen. Das Museum „Haus der Natur“ ist für ihn der ideale Platz, wo er findet, was er sucht. Er geht bewusst nicht hinaus in die „freie Natur“, sondern geht dorthin, wo Natur gleichsam aus zweiter Hand geboten wird. Die wie in Bewegung erstarrten, präparierten Tiere interessieren ihn, also die Art, wie hier  Natur inszeniert wird. Auch im Fall der Zeichnung arbeitet Erich Gruber nicht gedanklich unbeschwert drauf los, vielmehr verstrickt er den Betrachter auch hier in ein Nachdenken über Täuschung und Echtheit und über Manipulation.  

Werner Thuswaldner  2008